Entwicklungen im Scheidungsrecht seit 2009

Scheidungsrecht in Deutschland
Die Familie als natürliche Einheit unterliegt wie die Gesellschaft historischem Wandel. Wie innerhalb dieser Einheit Beziehungen gestaltet werden und welchen Regeln die Mitglieder dieser Einheit, das heißt die Familienmitglieder, unterliegen, ist im Familienrecht geregelt und durch die jeweilige Zeit und kulturelle Aspekte geprägt. Regeln, die früher als normal empfunden wurden, erscheinen uns heute veraltet; dafür sind neue Regeln hinzugekommen, die früher unvorstellbar waren. Ein Beispiel: Bis vor wenigen Jahrzehnten war es für homosexuelle Paare unmöglich zu heiraten. Heute ist dies kein Problem mehr und die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern ist im Familienrecht festgeschrieben.
Auch die Bedingungen, unter denen Scheidungen ablaufen, sind im Familienrecht geregelt und haben sich über die Jahrzehnte immer wieder verändert. Das Gesetz regelt das Scheidungsrecht in Artikel 1564 ff BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sowie das Verfahren in Familiensachen in Artikel 111 FamFG (Gesetz zum Verfahren in Familiensachen). Familiensachen sind Scheidungsfolgesachen, die mit dem Scheidungsverfahren in Verbindung stehen und gemeinsam verhandelt werden, beispielsweise Versorgungsausgleich, Kindesunterhalt, nachehelicher Unterhalt, Hausrat, Ehewohnung, Umgangs- und Sorgerecht. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen im deutschen Scheidungsrecht in den letzten zehn Jahren.
Das „Familienverfahrensgesetz“ 2009
Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das im September 2009 in Kraft trat, soll einen Beitrag zu einem modernen Familienverfahrensrecht leisten. Die Änderungen sind im Folgenden kurz zusammengefasst:
1. Scheidungsantrag: Eine Scheidung wird nicht mehr wie früher durch Klage, sondern muss durch einen Antrag erwirkt werden. Das Gericht fällt kein Scheidungsurteil mehr, sondern erlässt einen „Scheidungsbeschluss“. Der Scheidungsantrag muss Angaben dazu enthalten, ob die Eltern bezüglich des Sorgerechts, des Umgangsrechts mit den Kindern sowie zum Kindesunterhalt eine Vereinbarung getroffen haben. Das Ziel dieser Änderung ist, die Eltern dazu anzuhalten, sich schon früh mit der künftigen Situation ihrer Kinder auseinandersetzen.
2. Bessere Stellung des Kindes während des Verfahrens: Das Kind wird zukünftig von einem „Verfahrensbeistand“ unterstützt. Dieser darf anders als der bisherige „Verfahrenspfleger“ auf Anordnung des Gerichts aktiv die Interessen des Kindes während des Verfahrens vertreten.
3. Umgangsrecht: Es wurde die Möglichkeit eingeführt, einen Umgangspfleger zu bestellen, der in Konfliktsituationen hilft, den Kontakt zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil zu gewährleisten.
4. Unterhaltsrecht: Um eine frühere und umfassendere Klärung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und damit eine beschleunigte Verfahrensbearbeitung sicherzustellen, wurden Auskunftspflichten der Eheleute festgelegt.
Außerdem wurde der Unterhaltsanspruch zeitlich befristet. Dies gilt auch für Frauen, die gemeinsame Kinder versorgen und daher nicht oder nur eingeschränkt berufstätig sind.
5. Verfahrensrecht: Es wurde ein sogenanntes „Großes Familiengericht“ geschaffen, das zuständig für alle Fragen rund um die Themen Trennung, Scheidung, Unterhalt und Vermögensstreitigkeiten nach der Scheidung ist. Für diese waren bisher Amts- und Landgerichte zuständig.
6. Rechtsmittel: Rechtsbeschwerden, die bisher an die Oberlandesgerichte gingen, gehen nun an den Bundesgerichtshof. Sie werden befristet, um möglichst schnell Rechtssicherheit zu erreichen.
Neue EU-Verordnung zum Scheidungsrecht 2012
Die Verordnung gilt für Ehepaare unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sowie Ehepaare, die getrennt in verschiedenen Ländern leben oder die gemeinsam in einem anderen Land als ihrem Heimatland leben. Für den Fall der Scheidung können die Ehegatten nach Artikel 5 der Verordnung Rechtswahlvereinbarungen treffen. Sie haben die Option, das Recht eines Staates, dem sie durch Aufenthalt oder durch die Staatsangehörigkeit eines der Ehepartner verbunden sind, zu wählen. Die Verordnung möchte so die Belastung der Kinder verringern und den schwächeren Partner bei Scheidungsstreitigkeiten schützen.
Neue Steuerregeln im Scheidungsfall 2012
Im Falle einer Scheidung galten erstmals 2013 neue Regeln für die steuerliche Veranlagung, da es ab dem 01.01.2013 statt sieben nur noch die folgenden vier möglichen Veranlagungs- und Tarifvarianten gibt:
– Einzelveranlagung mit Grundtarif
– „Sondersplitting“ im Trennungsjahr
– Verwitwetensplitting
– die Zusammenveranlagung mit Ehegattensplitting
Die neue Einzelveranlagung nach Artikel 26a EStG stellt eine bedeutende Änderung gegenüber der bisherigen getrennten Veranlagung dar. Eine steueroptimierte freie Zuordnung verschiedener Kosten ist nicht mehr möglich und Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen werden nun dem Partner zugerechnet, der sie wirtschaftlich getragen hat.
Änderung des Unterhaltsrechts für Ehegatten 2013
Zum 01.03.2013 trat eine Änderung des Unterhaltsrechts in Kraft. Während das Recht auf nachehelichen Unterhalt durch die Unterhaltsrechtsreform 2008 stark begrenzt wurde, stellt das neue Gesetz Ehegatten nach besonders lange dauernden Ehen unterhaltsrechtlich wieder besser. Im Falle der Scheidung wird nun die Dauer einer Ehe stärker berücksichtigt – damit soll ein möglicher sozialer Abstieg insbesondere von geschiedenen Frauen verhindert werden. Frauen, die aufgrund der Familienarbeit (also Haushalt oder Kinderbetreuung) ihre eigene Berufstätigkeit zurückgestellt haben, haben nun die Möglichkeit, wieder länger Unterhalt von ihrem Ex-Ehemann zu bekommen.
Änderung des Unterhaltsrechts für Kinder 2016
Zum 01.01.2016 wurde durch ein Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts der gesetzliche Mindestunterhalt von den Kinderfreibeträgen entkoppelt. Grund für die Änderung war, dass die Koppelung des Mindestunterhalts an die Freibeträge häufig zur Folge hatte, dass der Mindestunterhalt unter dem kindlichen Existenzminimum lag. Der Mindestunterhalt orientiert sich nun direkt am kindlichen Existenzminimum.
EU-Güterrechtsverordnung 2019
Die Europäischen Güterrechtsverordnungen regeln seit dem 29.01.2019 bei Paaren mit internationalen Bezügen für den Fall der Scheidung die Gerichtszuständigkeit und das anwendbare Recht für sämtliche Fragen des Güterstandes und der vermögensrechtlichen Beziehungen. Für alle Scheidungsverfahren ist nun primär das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Eheleute nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.